Pressebericht: „Neue Westfälische“,
14.08.2006
Stummer Protest in Schwarz: Vor der
Demonstration mit Kundgebung hatten sich Frauen libanesischer Abstammung zur
Mahnwache am Rathaus versammelt.
Foto: Reinhard Rohlf
"Mit Waffen aus Deutschland"
Mahnwache und Kundgebung gegen den
Krieg im Nahen Osten vor dem Paderborner Rathaus
VON PETER HASENBEIN
Paderborn. Tote und schwer Verletzte, Bomben und zerstörte Städte: Auf dem
Fernseh-Bildschirm, in den täglichen Nachrichten scheint der Krieg im Nahen
Osten weit weg. Doch das ist er nicht. Der Krieg bewegt auch die Menschen in
Paderborn. Am Samstag versammelten sich aus dem Libanon stammende Frauen zum
stummen Protest vor dem Rathaus, kurz darauf startete die Initiative gegen den
Krieg ihre Kundgebung.
Trotz der aktuellen UN-Resolution für einen Waffenstillstand: Die Organisatoren
zeigten sich wenig optimistisch, dass der Krieg tatsächlich beendet wird. Drum
sollen beide Aktionen samstags zur ständigen Einrichtung werden – bis die Waffen
wirklich schweigen.
Die Reaktionen auf die Kundgebung sind höchst unterschiedlich. Nicht alle
Passanten halten inne, lauschen den Reden oder nehmen eines der Flugblätter in
die Hand. Viele eilen weiter, manche stellen kritische Fragen. "Schickt doch die
Hisbollah weg", meint eine Passantin zu Sousan Awada. "Wir verteidigen doch nur
unser Land. Israel soll auch aufhören, nicht nur die Hisbollah", kontert die
Mit-Organisatorin der Mahnwache – selbst im Libanon geboren, aber seit vielen
Jahren mit ihrer Familie in Paderborn zuhause. Rund 30 Frauen libanesischer
Abstammung und 15 Kinder hatten sich vor dem Rathaus versammelt, unterstützt von
einer Handvoll deutscher Frauen. "Wir solidarisieren uns mit allen Frauen auf
der Welt, die den Krieg erleben müssen", begründen sie ihre Unterstützung und
erinnern daran, dass der stille Protest in schwarzer Kleidung eine Tradition
hat. Auch in Paderborn, zumindest seit der Zeit des Golfkriegs.
Transparente lassen keinen Zweifel am Ziel der Mahnwache: "Stoppt den Krieg!
Gewalt bis wann? Kinder haben das Recht zu leben!" steht auf ihnen geschrieben.
Bilder von getöteten und verletzten Kindern, Städte und Dörfer im Bombenhagel
dokumentieren die unmenschlichen Auswirkungen des Krieges, die viele der
anwesenden Frauen und Kinder sogar selbst miterlebt haben, als sie die
Sommerferien zu einem Besuch bei Verwandten im Libanon nutzen wollten. Wie
Sousan Awada, die mit ihrer Familie vier Tage lang mitten durch das Kriegsgebiet
fliehen musste und nur knapp mit dem Leben davon kam (wir berichteten).
"Wir laden alle ein, sich jeden Samstag um 10.30 Uhr vor dem Rathaus an der
Mahnwache zu beteiligen, damit unsere Stimme so laut wie möglich zu hören ist",
erläutert Rania Fayad die Aktion am Samstag, die nahtlos übergeht in die
Kundgebung. Auch die Initiative gegen den Krieg fordert dabei den "sofortigen
Stopp der Kampfhandlungen", betont Hartmut Linne.
Bei der Demonstration durch die Innenstadt, an der immerhin gut 200 Personen
teilnehmen, nennt der Sprecher der Initiative via Megaphon Zahlen, die das Leid
der Menschen in der Kriegsregion widerspiegeln: "Über eine Million Flüchtlinge,
hunderte von Toten vor allem unter der Zivilbevölkerung, unter Frauen und
Kindern, Alten und Behinderten": "Dieser Krieg wird auf dem Rücken der Schwachen
ausgefochten, die es sich nicht leisten können, sich selbst aus dem
Raketengebiet zu evakuieren – in Israel genau so wie im Libanon", schreibt die
Initiative in ihrem Flugblatt und notiert weiter: "Ohne Zweifel ist das
Entführen von Soldaten und das Abfeuern von Raketen auf Nordisrael als Reaktion
auf das israelische Vorgehen im Gazastreifen klar zu verurteilen." Die Angriffe
auf den Libanon und die Zerstörung der libanesischen Infrastruktur kritisiert
die Initiative aber als "unverhältnismäßig": "Das ist nichts anderes als ein
Angriffskrieg der israelischen Armee."
"Waffenindustrie verdient auf beiden Seiten"
Ein Krieg, der auch mit Waffen aus Deutschland geführt wird, wie der in Bad
Lippspringe lebende Arzt Dr. Ibrahim K. Lada'a als weiterer Redner auf der
Kundgebung betonte. Das Mitglied im Bundesvorstand der "Ärzte in sozialer
Verantwortung" ist sogar überzeugt davon, dass die deutsche
Waffenindustrie "auf beiden Seiten am Krieg
verdient" – und nannte eine ganze Reihe von konkretem Kriegsgerät aus deutscher
Produktion. Obendrein würden sogar "Waffen nach Israel geliefert, die aus
Bundesmitteln und damit aus Steuergeldern finanziert werden". Dr. Lada'a: "Darum
fordern wir auch den sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an Israel."
Demonstration: Über 200 Personen mögen es gewesen sein,
die in der Innenstadt gegen den Krieg demonstrierten.
Foto: Peter Hasenbein
"Aufstehen gegen eine infame
US-Politik"
Drewermann sieht Verlust jeden
Schuldgefühls
Eugen
Drewermann: Krieg verroht die Menschen.
Foto: Reinhard Rohlf
Paderborn (ph). Die Abschaffung jeglicher Militärs auf der Welt forderte Dr.
Eugen Drewermann am Samstag auf der Kundgebung gegen den Krieg im Nahen Osten
vor dem Paderborner Rathaus: "Militärs haben noch kein einziges Problem gelöst.
Im Gegenteil. Jeder Krieg verschärft und erweitert die Probleme, anstatt sie zu
lösen." Jetzt könne die Frage nicht lauten: Wer hat den Krieg angefangen?
sondern: Wie können wir den Krieg beenden?
Der Theologe, Psychotherapeut und Pazifist forderte denn auch den "sofortigen
Stopp aller Kriegshandlungen im Nahen Osten" und nahm beide Seiten ins Gebet:
sowohl die Attacken der Hisbollah-Miliz, viel mehr aber noch "die völlig
unmenschlichen und überzogenen Reaktionen der Israelis". Wie schon in
vorangegangenen Reden bei Antikriegs-Kundgebungen, geißelte Drewermann aber auch
die USA als Kriegstreiber, die nur daran interessiert seien, ihre
Welt-Vormachtstellung weiter zu zementieren.
So habe George W. Bush auch den Krieg gegen den Irak "von Anfang an gewollt und
dafür die ganze Welt bewusst belogen". Gegen diese "infame Politik der USA"
müsse Europa aufstehen und für eine humane Politik ohne Waffen kämpfen. "Aber
das erwarte ich von der jetzigen Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht", stellte
Drewermann fest und sieht selbst die Vereinten Nationen als Spielball Amerikas:
"Internationales
Recht kann bei der UNO nicht durchgesetzt werden, weil die USA es gar nicht
wollen. Wir aber wollen keinen globalen Weltanspruch eines Staates."
"Wie kann es sein, das es Bush gelingt, den Islam als Gegner der ganzen Welt
darzustellen? Wie konnte US-Verteidigungsminister Rumsfeld glauben, dass seine
Truppen in Bagdad nach dem Irak-Krieg empfangen werden wie einst die Alliierten
in Deutschland?", fragt Drewermann und mahnt in die Menge: "Es gibt nur einen
Sieger, und der heißt Gott und nicht Bush oder Rumsfeld." Das Verhalten Israels
und der Amerikaner sei "ein Verrat an Gott" und gehe mit einem "Verlust jeden
Schuldgefühls" einher.
Sozialpolitik statt Rüstungsausgaben
Amerika gebe pro Tag eine Milliarde Dollar für Rüstung aus, Deutschland habe
gerade mal eine 10-Millionen-Euro Hilfe für den Libanon beschlossen. Zwei
Zahlen, die nach Meinung Drewermanns die unterschiedliche Gewichtung deutlich
machen. Oder dies: 30 Milliarden Euro investiert Deutschland jedes Jahr in die
Rüstung. "Was für eine Sozialpolitik könnte man mit diesem Geld machen?", fragt
Drewermann, statt dessen gebe es auch von Deutschland aus Waffenlieferungen an
Israel im großen Stil.
"Krieg verroht die Menschen bis zum Wahnsinn und mit diesem Wahnsinn muss
endlich Schluss sein", forderte der Theologe am Schluss seiner rund 30 minütigen,
frei gehaltenen Rede – und erntete viel Applaus von den rund 200 Zuhörerinnen
und Zuhörern.